Goethe und die Wünschelrute
Dr. Hans-Dieter Langer, Niederwiesa


Im 200. Todesjahr von Friedrich Schiller sollte man eigentlich seiner gedenken, zumal der große, allerdings eher unromantische Dichter trotzdem einen beachtlichen Umgang mit dem Thema Wünschelrute pflegte - „... an mein herz willst du die wünschelroute halten ...“ - doch er wurde darin von seinem noch berühmteren Zeitgenossen weit übertroffen: Der Faszination Wünschelrute erlag nämlich auch Johann Wolfgang von Goethe. Zumindest zeitweise hat dieser sich sogar sehr intensiv „wissenschaftlich“ mit den damit zusammenhängenden und angrenzenden Erscheinungen beschäftigt. Gänzlich verlassen hat Goethe diese Angelegenheit nie, zumal auch sein dichterisches Gesamtwerk davon durchdrungen ist. Dies steht sicher im engen Zusammenhang mit seinem lebenslangen Studium der Natur und der Antike sowie seiner eben auch zeitgemäß romantischen Grundhaltung.
 

Der junge Friedrich Schiller: Auszug 
aus einem Portrait von G. F. Riedel

Bisher wurde in der einschlägigen Literatur Goethes Einstellung zu „siderischen“ Phänomenen meist in Beziehung gebracht zu seinen Äußerungen vom Umgang mit dem Pendel in seinen „Wahlverwandtschaften“ / 1 /. Hieraus sei zunächst einiges zitiert: Der „Begleiter“ bei einem Spaziergang gestand dem „Lord“, es sei ihm „unmöglich, von hier zu scheiden, ohne das schöne Kind (gemeint ist Ottilie) auch die Pendelschwingungen versuchen zu lassen.“, öffnete ein Kästchen und „ließ nun Metalle, an Fäden schwebend, über liegende Metalle zu Versuchen nieder.“ Die herbei gerufene „Ottilie“ hielt „den Pendel“ ruhiger als Charlotte: „Aber in dem Augenblicke war das Schwebende wie in einem entschiedenen Wirbel fortgerissen und drehte sich, je nachdem man die Unterlage wechselte, bald nach der einen, bald nach der anderen Seite, jetzt in Kreisen, jetzt in Ellipsen, oder auch seinen Schwung in geraden Linien ...“. Sie endete mit dem Spiel erst als sich ihr Kopfweh wieder einstellte, das sie angeblich schon einmal an einem Seitenweg des Parks bekam, wo nachweislich in der Erde ein Kohleflöz lag. Dort war es nämlich, da sie zudem nach eigenem Geständnis „ein ganz eigener Schauer überfallen hatte.“ Es sei an dieser Stelle unmissverständlich festgehalten: Wer dieses schreibt, der kennt sich bis ins Detail aus. Mit anderen Worten, das heute wie damals gern verklärte Pendelgeheimnis kann man nur dann so realistisch darstellen, wenn man selbst pendelt!

Zudem lässt Goethe hier durchblicken, dass ihm „sensible“ Frauen lieber waren als solche, die mit dem Pendel nichts zu tun haben wollten, falls Ottilie in seinem richtigen Leben ein Vorbild besaß. Und das will bei dem hohen Stellenwert, den das schwache Geschlecht bei ihm insgesamt inne hatte, schon etwas bedeuten! Mehr noch, um die „Wahlverwandtschaften“ mit jenem radiästhetischen Schlüsselthema zügig bearbeiten zu können, blieb sogar seine „Pandora“ unvollendet / 2 /. 

Es verraten auch viele weitere Passagen seines großen dichterischen Werkes, so etwa im „Faust“, insbesondere in den zugehörigen „Paralipomena“ / 3 /, im „Zauberlehrling“ / 4 / oder im „Götz von Berlichingen“ / 5 /, dass ihn mythischer Zauber immer bewegt hat. Und den kann man nun einmal vom Stabphänomen nicht trennen, zumal Goethe z.B. durch die griechische Mythologie ungemein inspiriert worden ist. So ordnet er im „Wilhelm Meister“ 
/ 6 / einer Person, kurzum mit „die Wünschelruthe“ benannt, gar „wundersame Eigenschaften und einen ganz eigenen Bezug auf alles“ zu, „was man Gestein, Mineral, ja sogar was man überhaupt Element nennen könne. Sie fühle nicht bloß eine große Einwirkung der unterirdisch fließenden Wasser, metallischer Lager und Gänge, sowie der Steinkohlen und was dergleichen in Massen beisammen sein möchte ...“.

Nicht nur sprachhistorisch / 7 /, z.B. nach Jacob Grimm im Jahr 1835 / 8 /, erschließt sich die Wünschelrute auch als einfacher gerader Stab. Das war auch Goethe bekannt. Die Mythologien der alten (und neuen) Völker sind voll davon. Jener Zauberstab verleiht die Macht, die den Göttern - und den Priestern als ihren Stellvertretern auf Erden - eigen ist, und so mancher weltliche Herrscher in der Geschichte der Menschheit konnte sich der Besitzmagie dieses Dings nicht entziehen, das da alle Wünsche erfüllt. Goethe greift dies unnachahmlich auf, und wir sollten nicht die Mühe scheuen, seine Gedankengänge auszugsweise mit seinem „Faust“ nachzuvollziehen. Dabei sollten wir erkennen, dass es ihm um die Herausarbeitung der Bedeutung bzw. Anwendung dieses Objekts Wünschelrute = Stab nicht nur in der Antike, sondern auch in seiner Zeit ging.

Auf die Stimmung kommt es bei der Wünschelrute allemal an. Deshalb lassen schon Goethes szenarische Anweisungen das Spektakuläre des Kommenden ahnen: 

Anmutige Gegend 
Faust auf blumigen Rasen gebettet, ermüdet, unruhig, schlaf suchend.
(Dämmerung.)
Geisterkreis schwebend bewegt, anmutige kleine Gestalten.


Die Furcht, die Hoffnung und die Klugheit hatten ihren Part, da tritt Zoilo-Thersites alles mit Füssen:

Hu! Hu! Da komm’ ich eben recht,
Ich schelt’ euch allzusammen schlecht!
  ...
Das Tiefe hoch, das Hohe tief,
Das Schiefe grad, das Grade schief,
 Das ganz allein macht mich gesund,
 So will ich’s auf dem Erdenrund.

So muss der (göttliche) Herold mit dem Stab, in dem wir den griechischen Hermes, den römischen Merkur oder den ägyptischen Ossiris erkennen, sogleich einschreiten:

So treffe dich, du Lumpenhund,
Des frommen Stabes Meisterstreich!
Da krümm’ und winde dich sogleich! –
Wie sich die Doppelzwerggestalt
So schnell zum eklen Klumpen ballt!


Der Stab hat also die klassische enorme Verwandlungskraft! Doch die esoterisch anfälligen Weiber in Masse fordern den Herold erneut heraus:

Bei meinem Stabe! Ruh’ gehalten! 

Die Macht des Stabes ist eine unmissverständliche Drohung, die auch sofort zieht. Aber der Herold weiter: 

Schlag dieses Volk mir aus dem Feld.

Das findet Plutus seinerseits mit Recht faszinierend, er verlangt:

Dein Stab ist wohl dazu bereit,
Verleih ihn mir auf kurze Zeit.


Das Geschrei und Gedräng lässt dem Volk schwanen, was die Stunde wohl geschlagen hat:

O weh! Es ist um uns getan. –
Entfliehe, wer entfliehen kann!


Dem Herold ist das - mit gutem Grund - immer noch nicht genug:

Der Schalk erweist sich übelfertig.
Ich fürchte, dass er sich ergötzt,
Wenn er die Sittlichkeit verletzt.
Dazu darf ich nicht schweigsam bleiben,
Gib meinen Stab, ihn zu vertreiben.


Erst jetzt folgt der Auftritt der Deputation der Gnomen (an den großen Pan), der zugleich die Goethe bekannte, zeitgemäße Bedeutung der Wünschelrute reflektiert, nämlich konkurrenzloses Mittel der Standortfindung im Berg- und Brunnenbau zu sein:

Wenn das glänzend reiche Gute
Fadenweis durch Klüfte streicht,
Nur der klugen Wünschelrute
Seine Labyrinthe zeigt,
Wölben wir in dunklen Grüften
Troglodytisch unser Haus,
Und an reinen Tageslüften
Teilst du Schätze gnädig aus.
Nun entdecken wir hieneben
Eine Quelle wunderbar,
Die bequem verspricht zu geben,
Was kaum zu erreichen war.
Dies vermagst du zu vollenden,
Nimm es, Herr, in deine Hut:
Jeder Schatz in deinen Händen
Kommt der ganzen Welt zugut.


Köstlich, wie hier „Fadenweis“, den in der einschlägigen Branche üblichen, und daher in den Geowissenschaften verteufelten Begriff „Ader“ (nämlich „Silberader“, „Wasserader“), elegant ersetzt. Der Herold (den Stab anfassend, welchen Plutus in der Hand behält) stellt gewissermaßen den historischen Zusammenhang zur Antike wieder her:

Die Zwerge führen den großen Pan
Zur Feuerquelle sacht heran;


Denn indem es u.a. bei ihm weiter heißt

O Jugend, Jugend, wirst du nie
Der Freude reines Maß bezirken?


befinden wir uns spontan wieder (abgesehen von Goethes verständlicher Traumvorstellung) in der griechischen Mythologie. Die Göttin Kirke machte sich bekanntlich ihren Spaß, indem sie die wehrhaften Reisenden spielend mit ihrem Zauberstab in Schweine und wieder zurück verwandelte. (Warum also nicht zurück in die herrliche Jugendzeit?)

So muss nun Plutus erlösend (vielleicht auch für Goethe erweckend) rufen:

Schrecken ist genug verbreitet,
Hilfe sei nun eingeleitet! –
Schlage, heil’gen Stabs Gewalt,
Dass der Boden bebt und schallt!


Heilig waren die Wünschelrutenstäbe, das wissen wir / 7 /, seien es nun die des Moses und Aaron im Alten Testament oder die Tatsache, dass nach J. Grimm (1835) / 8 / gemäß der Beziehung Wünschelrute = Wunsch im Wortstamm die höchsten Götter, wie Wodan oder Zeus, Wunsch (= Wünschelrute) hießen und z.B. im alten Assyrien, als Stab auf dem Altar symbolisiert, zutiefst verehrt worden sind.

Wesen mit Stäben (Priester, Götter?) beten den Wunsch- bzw. Stabgott am Altar an?
Aus A. Parrot, Assur, C. H. Beck, München (1961)

Doch wie stand Goethe im wirklichen Leben zu diesen Dingen? Es mag überraschen, auf jeden Fall gehörte der Begriff „Wünschelrute“ zu seinem „alltäglichen“ Wortschatz. Wie anders sollte auch ein Satz der Art „Lichtenbergs Schriften können wir uns als der wunderbarsten Wünschelrute bedienen: Wo er einen Spaß macht, liegt ein Problem verborgen.“ / 9 / von ihm über den Kollegen und Physiker G. Ch. Lichtenberg verstanden werden? Auch in den Gesprächen mit J. P. Eckermann / 10 / kommt dies zum Tragen, so z.B. am 29. Februar 1824: „Ich will indes jene Anfänge (Jugendarbeiten) nicht schelten; ich war freilich noch dunkel und strebte in bewußtlosem Drange vor mir hin, aber ich hatte ein Gefühl des Rechten, eine Wünschelrute, die mir anzeigte, wo Gold war.

Zu den „Wahlverwandtschaften“ hatte ja Goethe eine besondere persönliche Beziehung, denn S. Konrad / 11 / lässt uns folgendes wissen: „Man kann davon ausgehen, dass Goethe all diese Dinge tatsächlich gedacht und empfunden hat.“ Zum Glück gibt es weitere, bemerkenswert klare Einsichten, so zum Beispiel durch Goethes eigene Tagebücher / 12 /. Auch seine Briefe sowie schriftliche Äußerungen seiner Zeitgenossen / 3 /, / 13 /, sind ein beredtes Zeugnis. Bei Goethes knapper Tagebuchführung ist es zudem beachtlich, wie ausführlich er gelegentlich beim Thema Wünschelrute geworden ist. Der hohe Zeitaufwand und die große Bedeutung, die er dieser Sache zumindest vorübergehend beigemessen hat, lassen sich daraus unmittelbar ablesen. Nicht zu übersehen ist allerdings auch das Bemühen der Autoren bzw. Herausgeber oder Kommentatoren obiger und anderer Sammelwerke bzw. Biographien über Goethe, gerade seine starke Beziehung zu Wünschelruten- und Pendelphänomenen herunter zu spielen, auszuklammern bzw. sogar zu vertuschen. Dieses Prinzip der Geschichtsverfälschung ist freilich einschlägig nicht neu und in jedem Fall korrekturbedürftig. 

Es fällt Goethes hohe Aufmerksamkeit für Natur im allgemeinen und Naturwissenschaften im besonderen auf. Also, die Beschäftigung mit der Physik war ihm offenbar ein Grundanliegen. Das belegt beispielsweise sein Umgang mit den Physikern Johann Wilhelm Ritter (1776-1810) und Thomas Johann Seebeck (1770-1831), die beide zeitweise in Jena tätig waren. Die Besuche und Gegenbesuche, die gemeinsamen Spaziergänge „um die Stadt“ und vor allem die Gesprächs- und Arbeitsthemen (!) etwa in den Jahren zwischen 1801 und 1808 sprechen Bände. Ja, und welches war eines der Hauptthemen? Es waren die „Wünschelrute“ und der „Siderismus“!! Wohlgemerkt, wir erfahren das hauptsächlich von ihm selbst, nämlich aus seinen eigenen Tagebüchern bzw. aus Briefen.

Schon am 28. September 1800 schrieb Goethe an Schiller: „Rittern habe ich gestern bey mir gesehen, es ist eine Erscheinung zum Erstaunen, ein wahrer Wissenshimmel auf Erden.“ Nach einem Brief von C. Brentano / 12 / habe Goethe über den „großen Physiker Ritter“ ferner gesagt: „Wir alle sind nur Knappen gegen ihn.“ Wir sollten daraus eben Goethes großes Interesse für Physik ablesen. Ritter und Seebeck haben ihm Jahrzehnte lang geholfen, Teile dieser schwierigen Wissenschaft zu verstehen. Wie sein direkter Ausflug in die Physik zeigt (seine Farbenlehre) - der übrigens aus naturwissenschaftlicher Sicht gründlich schief ging - ist das eben trotzdem nichts für Laien, der nun einmal auch der große Dichter war. Das sollte übrigens zahlreichen Nachahmern unter Radiästheten, die eigentlich ernst genommen werden möchten, zu denken geben, denn auch sie glänzen leider allzu oft durch regelrechten Missbrauch der Physik!

Bei Goethe hielten sich immerhin künstlerisches Schaffen und praktizierte Naturforschung - wohlgemerkt, stets wenigstens im engen Kontakt mit einschlägigen Wissenschaftlern - in seinem Lebenswerk annähernd die Waage / 2 /, / 13 /. Die Sichtweise durchlief freilich im Laufe der Zeit alle Phasen vom „krassen Realismus“ bis hin zum „aufgeklärten Idealismus“, wie zahlreiche Biographen übereinstimmend resümieren. Dazwischen gab es auch jede Menge Platz für unerklärliche Phänomene, und da vorzugsweise auch für solche der Wünschelrute und des Pendels, also einem Gebiet, wofür heute die Bezeichnung Radiästhesie steht. Während die meisten Naturwissenschaftler - als welcher Goethe ja auch gern hätte gelten wollen - die radiästhetischen Erscheinungen bis zum heutigen Tag entweder leugnen oder zumindest einer näheren Untersuchung nicht wert halten, wäre es nach seinen eigenen Worten ein „schädliches Vorurteil“, wenn „irgendeine Naturuntersuchung mit dem Banne belegt“ würde. Da müssen wir ihm freilich unbedingt Recht geben!

Gehen wir nun anhand von authentischen Dokumenten näher darauf ein, wobei uns das Ausmaß von Goethes Beschäftigung mit dem Thema Wünschelrute in den Jahren bis 1810 besonders interessiert. 

Johann Wolfgang von Goethe: Nach einem Gemälde von G. v. Kügelgen im Jahr 1810
Aus P. Wiegler, Goethes Werke in Auswahl, Bd. 3, Aufbau-Verl., Berlin (1949)

 

Stellvertretend mögen folgende Tagebucheintragungen bei Goethe im besten Mannesalter als Beleg dienen / 14 /:

07.12.1799: “Mit Rath Schlegel esoterisches und exoterisches.

23.02.1801: “Betrachtungen über die Schellingischen und Ritters Ideen und Arbeiten.

25.03.1807: “Abends Hofrath Meyer; besonders Siderismus von Ritter.

11.11.1807: “Ritter war einige Tage mit Campetti bey uns ... und experimentierte viel ... 
Nächstens werden die Erstlinge 
(von Ritters Buch über Siderismus) gedruckt.

24.11.1807: “Spazieren mit Seebeck um die Stadt. Verschiedenes über die Ritterschen-
Campettinischen Versuche; Nachricht von einem Wünschelrutengänger der 
sich hier aufgehalten hatte.


24.03.1808: “Siderismus von Ritter Ersten Bandes Erstes Stück.

 

05.04.1808: “Mittags Dr. Seebeck. Über Siderismus, Wünschelruthe und anders.

Hier wird zumindest das anhaltende Interesse über nahezu ein Jahrzehnt deutlich. Es sind dies gerade die Jahre, in denen auch der Physiker J. W. Ritter Wünschelruten- und Pendelphänomene besonders intensiv untersuchte. Dies geschah freilich in einer Zeit, da Wissenschaft und Allgemeinheit einer sogenannten „rationalistischen Aufklärung“ erlagen und alles Geheimnisvolle auf den Scheiterhaufen des Aberglaubens warfen. So hatte das von Goethe geförderte Münchener Akademiemitglied Ritter einen schweren Stand, indem es die Ruten- und Pendeleffekte mit Elektrizität in Verbindung zu bringen suchte / 15 /. Immerhin verdanken wir Ritter die Erkenntnis, dass die radiästhetische „Fühligkeit“ etwas mit der Physiologie des Menschen zu tun hat, also letztlich in den üblichen Ablauf Sensorik, Bewertung im Gehirn, Aktorik einzuordnen ist, und daher Pendel und Wünschelrute lediglich als „Zeiger im intelligenten Meßsystem Mensch“ einzuordnen sind. Aberglaube, Okkultismus, Hellsehen, Gottes oder der Geister Hilfe und ähnliche Zuordnungen, die heute noch viele Köpfe in der Radiästhesie verwirren, sind damit eigentlich schon vor 200 Jahren ausgeschlossen worden. Sie verführen trotzdem noch immer und im Zuge einer Globalisierung der Esoterik sogar zunehmend namentlich Rutengänger und Pendler (die sich, wie gesagt, bei dieser Gelegenheit gern ad hoc zu Naturwissenschaftlern erheben und entsprechend irreführend in einschlägiger Literatur veröffentlichen) zu teilweise fürchterlichen Gedankenkreationen, die sie dann selbstverständlich auch radiästhetisch umsetzen.

J. W. Ritter war jedenfalls zu jung und ungestüm, um die Trägheit der damals führenden Kollegen zu verkraften / 16 /. Immerhin hatte sich bereits eine Kommission von angesehenen Fachleuten konstituiert, die seine entsprechenden Forschungsprojekte prüfen wollte. Allerdings führte eine ihrer betont bedächtigen schriftlichen Stellungnahmen schließlich zum Eklat. Ritters unüberlegte Antwort war Klartext und gleich an die Gesamtheit der Physiker seiner Zeit gerichtet: „ ... mit dem Steigen der Physik bei höchstens 10 Prozent der Physiker, die übrigen wenigstens neunzig Prozent so dumm zurückgeblieben sind, dass sie erst, wenn sie mit dem Kopfe davor gerannt und vom Taumel sich wieder erholt, endlich nun auch: `Ja, so ist´s`!“ - sagen ...“. O weh, das war zu heftig, die Kommission löste sich spontan auf, und Ritters Ideen gingen unter. Zwei Jahre später starb er, fünfunddreißigjährig, arm und einsam, denn auch Goethe fand sich offensichtlich mit ihm nicht mehr zurecht. Möglicherweise trat er bei dieser Gelegenheit sogar den Rückzug an, denn mit der etablierten Wissenschaft wollte er es ganz bestimmt nicht verderben.

In Goethes Bemühen um das Thema waren jedoch weitere angesehene Persönlichkeiten seiner unmittelbaren Umgebung involviert, so zum Beispiel K. E. Schelling und J. E. Schlegel. Dies sind aber bei weitem nicht alle gewesen, wie ein Brief G. W. F. Hegels an Schelling vom 23.2.1807 zeigt: “In Ansehung der siderischen Versuche (von Ritter)habe ich deswegen mit Vergnügen gehört, dass er eine Vorrichtung angegeben zu haben schreibe, durch welche das Zufällige, das sich in diese Versuche einmischen kann, entfernt werde.“ Auch ein Tagebucheintrag vom 5.4.1808 bei F. W. Riemer verrät gemäß der Zeitschrift „Deutsche Revue“ (H. 11, Bd. 4, S. 24): “Besuch von Dr. Seebeck. Mittags allein mit ihm. Über Galvanismus, Siderismus, Wünschelruthe pp.“ 

Es sind zahlreiche wechselseitige Besuche Goethe-Ritter in den Jahren 1801 bis 1806 nachweislich, wobei man teilweise sehr familiär miteinander umging. Man erkennt auch deutlich Goethes Interesse und Unterstützung für Ritters einschlägige Veröffentlichungen, die in dessen Buch über den Siderismus gipfelten. Bemerkenswert und sehr bezeichnend ist die Tagebuchnotiz vom 24. November 1807: „Nachricht von einem Wünschelrutengänger der sich hier aufgehalten hatte.“ Goethe wirkt auf diese Nachricht wie elektrisiert, und es kling fast wie eine für ihn verpasste Gelegenheit.

Nun könnte man hinterfragen, was an fachlich Verwertbarem dabei heraus gekommen ist. Leider wird man da bei flüchtigem Hinsehen ein wenig enttäuscht. Goethe überließ scheinbar dieses Feld den anderen, seiner Meinung nach kompetenteren. Doch immerhin bezeichnet Goethe die in seiner gesamten Weltanschauung bestimmende Polarität (bzw. Gegensätzlichkeit), die auch in der Radiästhesie grundlegend ist, als ein Triebrad der „lebendigen Natur in ihren ewigen Kreisläufen“. „Der Gegensatz der Extreme, indem er an einer Einheit entsteht, bewirkt eben dadurch die Möglichkeit einer Verbindung.“, heißt es bei ihm, womit die Nähe zur Pendelpraxis und zum sogenannten Beziehungstest / 17 / nicht besser ausgedrückt werden kann. Im Goethehandbuch lautet der Kommentar dazu u.a. wie folgt: „... wird die Entwicklung des Goetheschen Polaritätsbegriffes von den ersten mystischen Anfängen bis zu der endgültigen Formulierung der Idee im Anschluß an magnetische und elektrische Experimente nachgewiesen und schließlich in erschöpfenden Ausführungen die Anwendung der Polaritätsidee auf die Erscheinungen der Natur und auf das geistige Geschehen zur Darstellung gebracht.“ Deutlicher muss man nicht werden, um Goethes Umgang mit dem damals als „magnetisch“ bzw. „elektrisch“ verstandenen Pendel auszudrücken.

Eine Gegensätzlichkeit setzt sich freilich bis in das Goethehandbuch aus dem Jahr 1918 fort 
/ 2 /. Unter dem Begriff „Wünschelrute“ im Band III, Seite 593 ff., ließen sich nämlich die zahlreichen Autoren bzw. der Herausgeber J. Zeitler zu eigenen Kommentaren hinreißen, was sonst auf den ca. 1.700 (!) Seiten des Werkes peinlichst vermieden worden ist: „Lange Zeit wurden derartige Erzählungen für wahr gehalten, bis man sie entweder als plumpe Schwindeleien erkannte oder mit Suggestionsvorstellungen in Zusammenhang brachte. Es ist merkwürdig, dass auch heute noch ab und zu Leute mit solchen Wünschelruten auftauchen (namentlich zum Auffinden von Quellen), die immer wieder Gläubige finden, sich aber jeder wissenschaftlichen Prüfung zu entziehen wissen; es sollen sich angeblich in neuer Zeit Fachleute dahin geäußert haben, dass hinter der Wünschelrute doch etwas Wahres steckte.“ Hier tritt einerseits die heftige Auseinandersetzung auch in diesen Sphären mit dem ewig umstrittenen Wünschelruten-Thema klar hervor, andererseits hat man den Schlüssel zum Verständnis in der Hand, dass auch Goethes Lebenswerk nicht objektiv aufgearbeitet und insbesondere seine Beziehung zu Wünschelrute und Pendel unrealistisch dargestellt worden sind (im gegebenen Fall vielleicht eher durch Verschweigen und Umgehen). Das ist als kulturhistorische Fälschung zu bezeichnen, die natürlich einschlägig Folgen hat, weil sie gerade auch im Zusammenhang mit Goethes Lebenswerk erfolgte. 
Fast beiläufig - aber nicht umhin - kam man unter oben genanntem Wortbegriff im Handbuch zu Goethe selbst zurück und meinte „Goethe spielte sehr oft an diese Zauberdinge an, so heißt es in der zweiten Weissagung des Bakis:

`Wünschelruten sind hier; sie zeigen am Stamm nicht die Schätze,
Nur in der fühlenden Hand regt sich das magische Reis.`

Im Faust II sprechen die Gnomen (Deputation der Gnomen) von der Wünschelrute, und im Meister wird öfter von Leuten berichtet, die derartige geheime Kräfte auszunützen verstünden.
“ Dann wurde die Geschichtsfälschung wieder in gewohnter Manier demagogisch fortgesetzt: „Doch ist die Schilderung wohl absichtlich so undeutlich und verschwommen, dass man daraus nicht auf die Stellung Goethes zur Frage der Wünschelrute schließen kann.“ Zum Glück sind eben auch solche Dokumente wie Goethes persönliche Tagebücher und Briefe überkommen, die das Gegenteil beweisen.

Wir können es uns nicht verkneifen, auf die Parallele hinzuweisen, die sich mit dem Wünschelruten-Thema bei der Aufarbeitung des Lebenswerkes einer anderen Persönlichkeit der Weltgeschichte auftut: Georgius Agricola / 18 /. 

 

Auszüge aus Bild 1 von Georgius Agricolas Hauptwerk „De re metallica XII libri“, erschienen im Jahr 1556: Es werden die drei wichtigsten Phasen der Erkundung im Gelände dargestellt, nämlich Versorgung, Suche und Ortsanzeige mit der Wünschelrute.
G. Fraustadt, H. Prescher (Übers. u. Bearbtg.), Georgius Agricola: De re metallica libri XII, Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin (1974)

 

G. Fraustadt und H. Prescher / 19 / mussten nämlich in ihrer Übersetzung von Agricolas Hauptwerk „De re metallica XII libri“ im Jahr 1974 zu seinem thematischem Schlüsselsatz „Die Wünschelrute kann also bei der Auffindung von Gängen für eine frommen und ernsthaften Mann von Nutzen sein.“ ausdrücklich einen Kommentar per Fußnote abgeben: „Diese Stelle wurde in den Ausgaben 1928 und später anders übersetzt, so daß man den Eindruck bekommt, daß diese Rede die Meinung der Rutengänger sei. Es ist aber aus dem Text ersichtlich, daß Agricola selbst der Meinung ist, daß die Wünschelrute ein teilweise brauchbares Instrument sein kann.“ Es gab also schon früher entstellende Übersetzungen, und wie bei den Goethe-Biographen spürt man leider auch hier den üblen Geruch der Fälscherwerkstatt im Vorhof der Bergbauforschung. Dass dieses Prinzip noch bis in die Gegenwart fortwirkt, konnte der Autor erst wieder kürzlich anlässlich seines Vortrages „Georgius Agricola: Wünschelrute contra Anzeigerpflanzen“ am 27. April 2005 während des „Agricola-Seminars“ (450. Todesjahr) im Ratssaal der Bergbau-Stadt Oelsnitz/Erzgebirge erleben.

Literatur

/ 1 / K. Port (Herausg.): J. W. von Goethe - Die Wahlverwandtschaften, Portverlag, Urach (1947)

/ 2 / J. Zeitler (Herausg.): Goethe-Handbuch, J. B. Metzlersche, Verlagsbuchhandlung, Stuttgart (1918)

/ 3 / P. Fischer: Goethes Wortschatz, Emil Rohmkopf Verlag, Leipzig (1929)

/ 4 / P. Wiegler:Goethes Werke in Auswahl, Bd. 2, Aufbau-Verl., Berlin (1949)

/ 5 / N. N.: www.Wissen-im-Netz.de

/ 6 / N. N.: Johann Wolfgang von Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre, Insel-Verl., Frankfurt/M. (1984)


/ 7 / H.-D. Langer: www.drhdl.de

/ 8 / K. H. Strobl: Jakob Grimm, Deutsche Mythologie, Bernina-Verl., Wien, Leipzig (1939)

/ 9 / N. N.: www.aphoristiker.fcschiemeyer.de

/ 10 / Houben (Herausg.): Eckermann, Gespräche mit Goethe, Brockhaus-Verl., Wiesbaden (1975)

/ 11 / S. Konrad: Goethes „Wahlverwandtschaften“ und das Dilemma des Logozentrismus, Universitäts-Verlag C. Winter, Heidelberg (1995)

/ 12 / W. Albrecht; E. Zehm: J. W. Goethe: Tagebücher, Verl. J. B. Metzler, Stuttgart, Weimar (ab 2000)

/ 13 / B. Wittge u.a. (Herausg.): Goethe Handbuch in vier Bänden, Verl. J. B. Metzler, Stuttgart, Weimar (ab 1996)

/ 14 / R. Grumach (Herausg.): Goethe - Begegnungen und Gespräche, Bd. VI, 1806-1808, Walter de Gruyter, Berlin, New York (1999)

/ 15 / C. Graf von Klinckowstroem: Handbuch der Wünschelrute, München und R. Freiherr von Maltzahn Berlin, Verl. von R. Oldenbourg (1931)

/ 16 / G. Rothe: Die Wünschelrute, Eugen Diederichs, Jena (1910)

/ 17 / Ch. Rohrbach: Radiästhesie, Physikalische Grundlagen und Anwendung in Geobiologie und Medizin, Karl F. Haug Verlag, Heidelberg (1996)

/ 18 / H.-D. Langer: Georgius Agricola und das Auffinden der Silbergänge: Wünschelrute contra Naturbeobachtung, Vortrag, Agricola-Seminar, 
         27.4.2005, Oelsnitz/E. (s. auch www.drhdl.de)

/ 19 / G. Fraustadt; H. Prescher: Georgius Agricola: De re metallica libri XII, Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin (1974)